Carl Friedrich May

* 25. Februar 1842
Ernstthal

† 30. März 1912
Radebeul

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Winnetou I in Dasing

Von "Gastfreundin" Katharina Maier

 

Vorwort
(von Klaus_D)

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Wenn Winnetou mitten in der Vorstellung lachen muss, dann, ja dann sind die Mayden der fränkischen Karl May-Freunde anwesend!

Ich erzähle Ihnen jetzt eine kleine Geschichte. Aber *psssst*! Das bleibt unter uns, ja? Also:

In einer Spielszene sagt Winnetou: "Wer arbeitet, kann nicht träumen!"
Hinter mir, eine Bank höher, hörte ich ein Auflachen und ein begeistertes Klatschen unserer zwei Mayden Katharina und Gabi - und so eine Reaktion hat wohl der sonst mit allen Wassern gewaschene Winnetou noch nie erlebt! Bei Manitou - da mußte er lachen und sich mit einem weiteren Grinsen erst einmal sammeln!

Solche Überraschungen erlebt man eben nur mit unseren Mayden! Howgh! :o)

Aber jetzt...: Mein herzlicher Dank gilt
  • Katharina Maier M.A., die u.a. auch das Buch Nscho-tschi und ihre Schwestern geschrieben hat. Sie hat sich auch in diesem Jahr bereit erklärt, einen Bericht für uns zu verfassen (ich freue mich sehr, ihre Zeilen nun veröffentlichen zu dürfen!) sowie
  • den Fotografen Gabi und Ralf Steinel und
  • Angelika und Ulrich Wasserburger.

Ihnen, lieber Leser und liebe Leserin, viel Freude mit dem Bericht!
Ihr Webmaster Klaus_D

Logo im Vorwort: Alle Rechte Süddeutsche Karl-May-Festspiele Dasing
Die Bilder im Bericht können angeklickt werden!

 


 

Zwei Jahre machen zwar noch keine Tradition, sind aber ein guter Anfang. Schon letztes Jahr durfte ich die Karl May-Freunde Franken mit nach Dasing begleiten und hatte dabei so großen Spaß, dass es - zumindest für mich - schon fast eine Selbstverständlichkeit war, auch das 10-jährigen Jubiläum der Süddeutschen Karl-May-Festspiele 2014 zusammen mit meinen fränkischen Freunden zu begehen. Schließlich gab es heuer Winnetou I!

 

Ein wenig Bedenken kamen mir nur, als ich, schon mit den Karl May-Freunden in der Western City an einem Tisch sitzend und an meinem Western-Salat kauend, einen Blick in das Programm warf, das Gabi an der Kasse erstanden hatte. Es ist vielleicht wenig verwunderlich, dass ich, die ich ein Buch geschrieben habe, mit dem ich beweisen wollte, wie viele tolle, authentische Frauengestalten es in Mays Werken gibt, misstrauisch werde, wenn ich ein Programm für Winnetou I in Händen halte, in dem unter anderem eine Saloonbesitzerin, genannt Mrs. Redlock, und eine Blondine namens "Belle" aufgelistet sind, die alles mögliche, aber ganz sicher nicht May-isch sind. Zum Glück war mein Misstrauen völlig unbegründet und zeugt vielleicht von nichts so sehr wie meiner eigenen Voreingenommenheit. Lektion gelernt! Die "nicht May-ischen" Frauenfiguren, die die Dasinger in die Geschichte geschrieben hatten, fügten sich hervorragend in ihre Version von Winnetou I ein - eine Version, die weder ganz das Buch war noch ganz der Film, sondern eine ganz eigene Variante der uns allen so wohlvertrauten Geschichte, die perfekt den Gegebenheiten der Dasinger Bühne angepasst war. Gespickt war sie sowohl mit Direktzitaten aus dem Film wie auch aus dem Buch.

 

Die Mischung aus Film-, Buch- und Eigen-Elementen begann schon ganz am Anfang: Old Shatterhands Mission ist es - wie im Film -, die unerlaubte Verlegung der Bahngleise durch das Gebiet der Apatschen zu unterbinden. Schuld an derselbigen sind Oberbösewicht Santer (natürlich dargestellt von Fred Rai) und dessen Handlanger Bancroft und Rattler - Gut und Böse ist in Dasing durchaus eindeutiger zugeordnet als bei May selbst, außer im Falle von Tangua (aber dazu kommen wir noch). Deutlich mehr ans Buch angelegt als diese Ausgangssituation ist Old Shatterhands Greenhorn-Status: Er kommt direkt aus Deutschland, und er muss gleich bei seiner Ankunft vor Sam Hawkens' kritischen Augen seine Schießkünste unter Beweis stellen. Auch heißt er noch gar nicht Old Shatterhand, denn der junge Karl aus Sachsen unternimmt gerade seine allererste Reise, die ihn schnurstracks in den Wilden Westen führt: Zur zeitweiligen Endstation des Eisenbahn (eben der Saloon der erwähnten Mrs. Redlock, die eine amüsante, an Mutter Thick angelegte Nebenrolle spielt) und an die Grenze des Apatschengebiets.

 

Aber das ist gar nicht der eigentlich Anfang der Geschichte, denn diese beginnt mit einem Prolog in Sachsen, wo die Großmutter dem kleinen Karl das Märchen von Ardistan, Dschinnistan und der Geisterschmiede erzählt, und der kleine Karl der Großmutter verspricht, einmal Abenteurer und Schriftsteller zu werden. Dieser wunderbar feinsinnige Kunstgriff hebt die Geschichte von Anfang an auf eine andere Ebene: Zum einen betont die Rahmenerzählung Old Shatterhands und Mays Wurzeln und weist über das Werk Winnetou I hinaus, zum anderen verbindet sie die Geschichte der Blutsbrüder mit der "Menschheitsgeschichte" von Ardistan und Dschinnistan und dem Weg durch die Geisterschmiede, den beide Helden im Laufe der Dasinger Geschichte auf unterschiedliche Art und Weise nehmen müssen. Die Verbindung von Abenteuergeschichte und Mystik, die die Dasinger Karl-May-Spiele im Allgemeinen charakterisiert, erhält dadurch eine Tiefe, wie sie zumindest ich zuvor dort nicht gesehen habe.

 

Die Ardistan-Dschinnistan-Parallele durchzieht die ganze Geschichte, und das wird vor allem durch den Einbau von Szenen erreicht, die direkt aus dem Buch stammen. So wird etwa Old Shatterhands grandioser Abstieg in den Tod und seine Auferstehung vor den Augen Winnetous wortwörtlich wiedergegeben; besonders wirkungsvoll war die Szene an jenem Nachmittag des 16. August, da gerade dann sich ein Wolkenbruch über die Arena ergoss, als der schwer verwundete, aus seinem Delirium erwachende Old Shatterhand in das Lager der Apatschen gebracht wurde, nur um von Winnetou gesagt zu bekommen, dass er selbst vom Tode erstanden noch ein Lügner sei. Die Sonne kam übrigens wieder hervor, als Old Shatterhand und Winnetou sich die Hände zum Frieden reichten.

 

Winnetous Gang durch die Geisterschmiede geschieht in Dasing - und wenn man es so sieht, wohl auch bei May selbst - nach dem Tod von Nscho-tschi und Intschu tschuna. Jeder May-Leser erinnert sich vermutlich an die Szene, in der Winnetou fast zum Rächer wird, fast beschließt, alle Indianerstämme in einem Kampf gegen die Bleichgesichter zu vereinen, fast den Weg des Krieges einschlägt und das neugeformte Band zu seinem Blutsbruder zerreißt. Für mich war das schon immer eine der beeindruckendsten Szenen, die May je geschrieben hat, und zu meiner Überraschung scheuten sie in Dasing nicht davor zurück. Ganz im Gegenteil: Die Konfrontation zwischen den beiden Blutsbrüdern und Winnetous Gewissenskampf wurden fast unerträglich lange hinausgezogen (auf eine gute Art und Weise): Old Shatterhand, der sich mit weit geöffneten Armen vor die Mündung der Silberbüchse stellt, und Winnetou, dem man einen, zwei, drei Momente lang fast wirklich glaubt, er könnte abdrücken, er wüsste nicht, wie er sich entscheiden soll. Die Szene war zweifellos ein Höhepunkt im Spiel beider Schauspieler, sowohl von Helmut Urban als Old Shatterhand als auch von Matthias M. als Winnetou.

 

Der Dritte, der durch die Geisterschmiede gehen muss, ist Tangua. Peter Görlach, der sich mit Drehbuch und Regie dieser Inszenierung wirklich selbst übertroffen hat, mimte den unbequemen Kiowa-Häuptling, der bei May ja zu den uneinsichtigsten und langlebigsten Feinden Winnetous, aber vor allem Old Shatterhands gehört. Wie es sein Markenzeichen ist, interpretierte Görlach Tangua als kriegslüsternen Häuptling, der durch die schändlichen Taten der Weißen vom Pfad des Friedens abgekommen ist, aber im Laufe der Geschichte wieder auf den rechten Weg zurückfindet. Das passt zwar nicht unbedingt zu Mays Winnetou I, aber sehr gut zu Tanguas später Bekehrung in Winnetou IV, die in Dasing eben ein paar Jahrzehnte vorgezogen wurde. Wie alle anderen Eigenheiten der Dasinger Inszenierung fügte sich Tanguas Entwicklung gut in die Gesamtgeschichte ein. Sein Status als "dritter Held" nach Winnetou und Old Shatterhand führte allerdings zu einer etwas rätselhaften Eigentümlichkeit: Dem Gottesurteil, mit dem der für den Marterpfahl bestimmte Old Shatterhand seine Unschuld beweisen soll.

 

Wie sich sicher aller erinnern, geschieht das bei May unter Hinzuziehung des Rio Pecos in einem Kampf gegen Intschu tschuna. Nun fließt weder der Lech durch die Dasinger Freiluftbühne noch hätte Hans Niggls ehrwürdiger Greis Intschu tschuna einen besonders befriedigenden Gegner für Urbans Mannsbild von einem Old Shatterhand abgegeben. Die Lösung der Dasinger für dieses Problem war eigentlich ganz geschickt: Winnetou und Old Shatterhand werden gegeneinander kämpfen, und zwar nicht mit Wasser, sondern mit Feuer. Da meldet sich plötzlich Tangua zu Wort, der auch gegen das Bleichgesicht kämpfen will und Winnetou entscheidet: Dann kämpfen wir eben zu dritt, jeder gegen jeden. Nun wollte vielleicht Görlach den doppelten Zweikampf aus dem Buch (Old Shatterhand vs. Intschu tschuna und Old Shatterhand vs. Tangua) auf diese Art und Weise komprimieren, vielleicht ging es schlicht um die zugegebenermaßen beeindruckende Choreographie des Dreikampfs - nur rein logisch macht das Ganze keinen Sinn. Warum sollte Winnetou gegen den momentan mit ihm verbündeten Tangua kämpfen, vor allem, wenn es keine Hintergedanken gibt? Was würde es über die Unschuld Old Shatterhands aussagen, wenn Tangua den Dreikampf gewänne (was er natürlich nicht tut)? Ich bin mir sicher, dass sich die Inszenierer viel bei diesem Kampf gedacht haben - mir erschließt sich nur nicht, was. Da das Ganze aber als Anlass diente, um Winnetou und Old Shatterhand mit brennenden Fackeln aufeinander losgehen zu lassen, will ich mich gar nicht zu lange beschweren. Daran kann frau beim besten Willen nicht allzu viel auszusetzen finden.

 

Auch die vierte Hauptfigur der Geschichte bekam eine Dasinger Sonderbehandlung, die mir erstaunlich gut gefiel. Die Rede ist von Nscho-tschi (Swetlana Gerkhardt). Normalerweise sehe ich es nicht besonders gerne, wenn die Geschichte von Old Shatterhand und der "schönsten Tochter der Apatschen" zu einer größeren Romanze ausgebaut wird, als sie es im Buch ist, und deswegen war ich überrascht, wie gut mir die Dasinger Interpretation gefiel. Vielleicht, weil sie hier keine halben Sachen machten: Wenn schon, dann richtig. Hier ist es Nscho-tschi, die Old Shatterhand als Erste von allen Apatschen kennenlernt (ist sie vielleicht sogar das erste indianische Gesicht, das er sieht?). Seinen Kriegsnamen verdient er sich, während er sie gegen einen pöbelnden weißen Chauvi verteidigt. Sie glaubt unerschütterlich an ihn, während ihr Bruder ihn für einen lügnerischen Weißen hält (der sich zudem an seine Schwester ranmacht). Sie ist es, die das L-Wort zuerst sagt, während er es nicht über die Lippen bringt, ehe sie in seinen Armen stirbt - nur um ihm als weiblich-überlegener Geist zu erscheinen und ihm klarzumachen, dass sie schon immer wusste, wie es um seine Gefühle bestimmt war. Nscho-tschi wird in Dasing zu Old Shatterhands großer Liebe. Sie ist gleichbedeutend mit dem ersten Ritt in die Prärie, mit Freiheit und mit Verlust. Das ist nicht ganz und gar anders als bei May und doch wieder sehr. Aber es passt. Diese Nscho-tschi und ihre Beziehung zu Old Shatterhand wurde modernisiert (und romantisiert), ohne ihre Wurzeln zu verlieren. Gut gemacht. Ich möchte einen Aufsatz darüber schreiben.

 

Aber dieser Bericht hier soll kein Aufsatz werden, und darum möchte ich jetzt schließen. Nur zwei Dinge will ich nur noch anmerken, die mich sehr hoffnungsfroh stimmen, was die Zukunft oder vielleicht auch die Zeitlosigkeit Karl Mays angeht. Erstens: Obwohl das Wetter sehr durchwachsen war, war die Tribüne fast bis auf den letzten Sitz gefüllt. Zweitens: Die vielen Kinder waren mit Feuer und Flamme dabei.

 


 

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